Medizinische Hilfe Rio Quiquibey 2012 Februar

In sechs Jahren Medizinprojekt haben wir viel gesehen, viel gelernt, manchmal gezweifelt und doch viel geschafft. Und so liegt gerade ein kleiner Hauch von Stolz in der Luft, wie wir jetzt hier mitten im Regenwald eigenhändig die Nägel in weiß grundierte Holzschilder schlagen:

Centro de Salud San Luis Grande, Projekt Regenzeit, Fundacion Salud Rio Beni

… steht drauf und vor uns steht der erste Gesundheitsposten vom Quiquibey. Die Wände sind aus Bambus, das Dach aus Jatata, die Fenster mit Moskitonetz verkleidet, der Boden frisch gestampft. In einer großen Vitrine befinden sich die Basismedikamente, zwischen Verbandsmaterial und medizinischer Grundausrüstung. Mit einem Schmunzeln laden wir das Bett und eine Matratze aus dem Boot. Beides wirkt irgendwie außerirdisch hier oben am Fluss. Aber schon am nächsten Tag wird uns Doktor Alan beweisen, dass er nicht umsonst darauf bestanden hat… Der erste Abend wird gekrönt durch ein Volleyballmatch: die Männer von San Luis Grande gegen Team Los Medicos – auch das gehört zur Medizintour. Zum Team Los Medicos gehören: Dr. Alan Drew, Berndt Michael –Kinderarzt aus Stralsund(Greifswald), Antonio – Apotheker und Motorista, Nico – Übersetzer, Torsten und Ilka von der Fundacion Regenzeit, Hannes – Medizinstudent aus Deutschland, Jeff und Kristin – Volontäre aus Kalifornien, Bert – Maskottchen in allen Lebenslagen

Sieben Stunden saßen wir im Boot. Mit einem Tag Verspätung startete die erste Medizintour 2012. Dr. Alans Frau musste mit Verdacht auf akute Blinddarmentzündung dringend nach La Paz. Aber die ersten beiden Flieger sind ausgebucht. Ohne wirklich zu wissen, wie es ihr geht oder was wird, sitzt er heute, einen Tag später, trotzdem mit im Boot. Erst am 2. Tag der Reise lässt ein Funkspruch aus Rurrenabaque ihn endgültig aufatmen. Selbst als Arzt mit gutem finanziellem Background ist eine gute medizinische Versorgung in Bolivien nicht selbstverständlich, schon gar nicht bei Notfällen. Was das hier oben am Fluss bedeutet, werden wir in den nächsten Tagen wieder oft genug erfahren. Der Gesundheitsposten ist ein Anfang, das Boot mit Motor für ernste Notfälle ist bereits in Planung. Immerhin könnte man dann innerhalb von 10-12 Stunden das Krankenhaus in Rurre erreichen. Für manche mag das idiotisch klingen. Aber die Alternative im Moment wäre, sich dem Schicksal zu ergeben. Wenn alles gut geht, erfahrt ihr mehr dazu im März.

Der erste Behandlungstag beginnt in Bolson: 10 Familien, keine Schule. Während wir kleine Fortschritte erkennen, ist es für Bernd als Kinderarzt harter Tobac. Die Krankheiten sind nicht unbedingt spektakulär (Parasiten, Ausschlag, Pilze, Millionen von Stichen übersehen die Haut und infizieren sich, Bronchitis, Abszesse mit Fliegenlarven, Grippe und nochmal Parasiten…) Es ist einfach das Gesamtbild, was hier jeden der die Situation nicht kennt, am Anfang sprachlos macht. Also Ärmel hochkrempeln und loslegen! Nico, der Promotor für Salud der Dachorganisation der Tsimane und Motsetene, übersetzt von Tsiman ins Spanische. Ich vom Spanischen ins Deutsche. Dann geht die Kette rückwärts. Nico leistet als Übersetzer Schwerstarbeit. Die Mütter öffnen kaum den Mund beim Sprechen, blicken scheu zu Boden. Aber wenn der große Doktor aus Alemania mit dem Bart beginnt, mit den Kindern rumzualbern, bricht das Eis. Da trauen sich sogar die Hasenfüße in die Sprechstunde, die vorher aus Angst vor Impfungen ausgebüchst waren(natürlich vor allem Jungs). Mit jedem Patient spielt sich das Team besser ein. Bernd behandelt die Kinder und Dr. Alan hauptsächlich die Erwachsenen. Zum Glück gibt es ja eine den Medizinern eigene internationale Sprache für Diagnosen und Medikamente. Die Vorbereitungstage in der Klinik der Fundacion waren eine gute Erwärmung. Die Frau mit der Tuberkulose, unser Notfall im letzten Jahr, hat zwar keine Tuberkulose mehr aber der Zustand ist schon wieder kritisch: eine weitere Schwangerschaft plus neue Infektion. Ein Teufelskreis. So kreisen die Gespräche jeden Abend immer wieder um denselben Punkt. Wie kann man was verbessern, wirklich was verändern? Am Nachmittag behandeln wir in San Luis Grande. Außerdem will Dr. Alan gerne noch mit den Hebammen sprechen. Berndt hat auf seinen Wunsch extra aus Deutschland Geburtshilfesets mitgebracht unter anderem Nabelschnurklemmen. An unserem Maskottchen Bert wird deshalb kurzer Hand der Einsatz der Klemmen geübt. Kinder gibt es wie immer unheimlich viele. Umso ärgerlicher ist es, dass das Krankenhaus mal wieder versagt hat. Die Krankenschwester ist am Abfahrtsmorgen trotz fester Zusage des Direktors samt Impfstoffen nicht erschienen. Josello, der Chef der Fundacion Salud del Beni, wird eine Protestnote an das Gesundheitsministerium und den Bürgermeister schreiben…. Uns hilft das wenig, für dieses Mal können wir nicht impfen. Und in jedem Dorf müssen wir erklären wieso.

In den Fünf Tagen besuchen wir 9 Dörfer, behandeln ca. 150 Patienten. Man erkennt Torsten und mich auch wieder, das macht glücklich. Leider sind die "Dschungellehrer" allesamt noch nicht aus den Ferien zurück. Obwohl seit einer Woche das Schuljahr begonnen hat. Also können wir das Zahnputz- und die Schulprojekte nur bedingt umsetzen. In 3 Dörfern können wir die Sachen guter Dinge an die Dorfältesten übergeben. Eine Schule, ein guter Lehrer, ist die halbe Miete wenn man in einem Dorf etwas verändern will. Zwei Dörfer warten seit Jahren vergeblich auf einen Lehrer. Kinder gibt es genug, aber wer will schon unter solchen Bedingungen leben und arbeiten. Da hilft auch die höhere Besoldung nichts. Man müsste jemand finden, der für längere Zeit im Dorf lebt – der aufklärt, die Wasserfilter der Fundacion einführt, einfache Latrinen errichtet, den Kreislauf von Parasiten und Krankheit unterbricht und einfach auch vorlebt, was man mit einfachen Mitteln verändern kann. Man müsste.…

Wir werden versuchen, da wo sich bereits etwas getan hat anzusetzen. So sitzen wir abends mit den Männern und Frauen von San Luis Grande bei Cocablättern zusammen und beraten. Seit geraumer Zeit bringen Plastikrohre sauberes Wasser aus einer Quelle ins Dorf. Das Notfallboot ist ein nächster Schritt und dann Toiletten. Nur eine Toilette an der Schule nützt nicht wirklich was. Man bräuchte schon für jede Familie eine und eine Aufklärungskampagne, damit die Dinger auch genutzt werden. Und schon sind wir wieder beim planen…

Also, es gibt viel zu tun. Wir hoffen wieder auf Eure Unterstützung. Bereits am 13. Februar startet die zweite Medizintour, dann an den Rio Beni.

Liebe Grüße Ilka und Torsten