Medizintour Rio Beni Februar 2022

Noch ist der Himmel bedeckt, die steilen Canyonwände verstecken sich in Wolken, Nebel liegt über dem Rio Beni. Im Hafen und auf den Straßen herrscht schon reges Gewimmel. Marktfrauen stillen den Appetit der Frühstücksgäste an Holztischen und Bretterbänken. Jeden Morgen bauen sie ihre improvisierten Stände auf. Es gibt maximal-gesüßten Kaffee, oder Tee und Empanadas – gefüllte Teigtaschen mit Fleisch oder Käse, frisch frittiert. Bananenstauden werden aus wackeligen, motorisierten Einbäumen geladen. Motorräder knattern, Bootsmotoren tuckern oder röhren und endlich holpert auch das Motocarro mit unserer Ausrüstung um die Ecke. Schon routiniert wird „in Kette“ das Boot über die steile Uferböschung hinab beladen. Wir sind ein kleines Team: Joselo, Zahnärztin Sonia, Doc Christian, Bootsmann und Koch Jacob, Melwin am Motor und wir zwei. Einen Impfer konnte das Hospital leider nicht beisteuern – die Begründungen sind erstaunlich und frustrierend. Heute wollen wir uns nicht aufregen – wir hoffen lieber aufs nächste Mal…. Vielleicht, wenn die Verantwortlichen wieder wechseln? Wir starten flussaufwärts. Der Fluss ist ruhig und ungefährlich, die Sonne bohrt erste Löcher in die Wolkendecke. Als wir die 2 Canyons hinter uns haben, dampft der Urwald bereits und vor uns erstrecken sich unzählige Bergkämme und Hügelketten, überzogen mit undurchdringlichem Bergurwald – mir fehlen die Worte für so viel verschiedene „Grüns“. Der Rio Beni strömt uns in weiten Schleifen entgegen. Noch kühlt uns der Fahrtwind angenehm, noch strecken wir nackte Füße und Arme selig in die Sonne. Als wir 2 Stunden später zum ersten Mal anlegen, erschlägt sie uns fast! Das wird ein heißer, langer Tag. Es gibt auf dieser Tour zwar weniger Gemeinden, aber am Rio Beni sind fast alle größer als am Quiquibey und dabei liegen sie noch unendlich weit weg vom Fluss….

Ende März 2020 hatten wir bereits alles gepackt für diese Tour. Am nächsten Morgen sollte es los gehen, als uns Sonntagabend klar wurde, dass wir alles stehen und liegen lassen sollten, um das Land noch Richtung Europa verlassen zu können. Ein schwerer Entschluss damals, aber der richtige, wie sich später rausstellte. Also sehen wir die Dörfer heute nach 3 Jahren zum ersten Mal wieder und würden das erste – die Comunidad Charque - schon mal kaum finden. Wir legen bestimmt 2 km weiter flussaufwärts an. Die vorgelagerte Insel gibt es nicht mehr. Wir laden aus, schultern Kisten und Taschen und marschieren in Gänsereihe los, dauert nicht lange und wir rätseln, welcher Pfad nun der richtige ist. Eigentlich müssten hier doch schon Hütten stehen?!? Das Dorf wurde näher an die Berghänge gelegt, hochwassersicherer. Wir lauschen und hören weit weg Gemurmel. Auf unser Rufen erhalten wir aber keine Antwort. Endlich lichtet sich das Grün und wir stehen auf dem neuen Fußballfeld und vor der neuen Schulhütte mit Wellblechdach. Das Gemurmel kommt aus der Schule. Es ist Dorfversammlung. Deshalb haben wir keinen gehört oder getroffen. Wir bauen im Nebenraum auf und brutzeln dann vor uns hin…. Die Versammlung ziiiiiiiiiiiieht sich und natürlich müssen dann alle nochmal zu ihren Hütten, die Carnets holen. Egal, weiter fahren macht keinen Sinn. Wir haben schon zu viel Zeit verloren. Dann geht’s Schlag auf Schlag. Das Team ist eingespielt. Charque hat keinen wirklich klaren Bach in der Nähe. Flusswasser und aufgefangenes Regenwasser sichern die Versorgung, das eine trüb, das andere abgestanden… Früher hatten fast alle Hütten und die Schule Trinkwasserfilter.

Joselo hat sie mit Volontären von „Shoulder to Shoulder“ in Rurre selbst gebaut und dann mühselig hierhergebracht und aufgebaut. Keiner hat die Überflutungen und den Umzug überlebt bzw. ein Teil ist unbrauchbar, weil sie nicht gewartet wurden. Es gäbe so viel zu tun. Wir kämpfen also zuerst gegen die Parasiten in den Bäuchen, dann gegen Hautpilze, entzündete Wunden, Fieber, Husten, schmerzende Knochen und Gelenke von der schweren Feldarbeit usw. Zumindest können wir hier und heute Plagen lindern und zur Heilung beitragen. Sonia checkt die Gebisse aller Kinder, mahnt zum Zähne putzen. Natürlich haben wir Zahncreme und Zahnbürsten im Gepäck. Wir bitten die Lehrerin vor Ort, das Zähneputzen in den Unterricht einzubeziehen. Am besten wäre, in der Schule gemeinsam zu putzen. 16.30 Uhr packen wir zusammen – fertsch! …und höchste Zeit, zu starten. Um nicht jeden Tag zusätzlich zu den Medikamenten auch noch die gesamte Campausrüstung ins Dorf schleppen zu müssen, wollen wir wenigsten 2 Nächte in Torewa Madidi schlafen. Normalerweise kann man dort über einen Altarm/ Minizufluss mit einem kleineren Boot bis ins Dorf reinfahren. 1,5 h müssen wir noch den Beni hoch. Der Fahrtwind kühlt herrlich. Endlich entdecken wir eine Handvoll Boote am rechten Ufer und die Einmündung. Aber der Zufluss liegt trocken, nix als Sand und kein Mensch zu sehen. Das Dorf liegt 50 Marschminuten von hier, aber wo beginnt der Pfad? Vor uns steht eine grüne Wand. Alleine müssten wir mehrmals laufen, um alles zu schleppen. Auf der Sandbank zelten? Zu gefährlich – wenn es in den Bergen regnet, spült es uns weg. Die Zeit drängt. Es wird bald dunkel. Zumindest geht’s flussabwärts viel schneller. Nach 30 Minuten erreichen wir das Ufer von Torewa Campesino. Ein paar Kinder toben im Wasser. Die Sonne zaubert ein magisches Abendlicht und einen kleinen Regenborgen über die Dschungelrücken und Steilufer gegenüber. Ara-Pärchen fliegen krakeelend zu ihren Nestern. Keine Zeit – ein Familienvater kommt mit seiner Schubkarre voller Bananen gerade richtig. Er hilft uns beim Transport. Es findet sich eine 2. Schubkarre. Wir sind längst wieder triefend nass vom Schweiß. Zum Glück (für uns) hat der Fluss kräftig Land gefressen. Der Fußmarsch dauert nur 15 Minuten. Ein paarmal müssen wir schon laufen und es dämmert bereits, als wir unter einem größeren Dach unsere Zelte aufbauen. Jacob beginnt sofort zu köcheln, während wir einrichten und sichern. Wasser zum Waschen gibt’s auch hier nicht und keiner hat Lust noch einmal zum Fluss zu laufen. Unser Trinkwasser für die ersten 2 Tage haben wir in großen Kanistern aus Rurre mitgebracht – ein kleiner Beitrag im Kampf gegen die allgegenwärtigen Plastikflaschen. Als wir endlich beim Essen sitzen, setzt Regen ein. Wir sind geschafft, aber mehr als zufrieden und ein Dach haben wir auch noch über dem Kopf. Der Regen füllt Tropfen für Tropfen unsere Pfannen und Töpfe.

Ohne Kaffee können wir nicht kämpfen!!!! … und ganz früh am Morgen kann man den auch noch trinken, ohne zu schwitzen ;o))))

8.30 Uhr sitzen wir wieder im Boot und hoffen, dass wir heute erfolgreicher sind in Torewa Madidi. Zumindest sind schon mal Menschen an den Booten. Aber was schleppen die für Gerätschaften zum Wasser? Notstromaggregat, Schläuche, Pumpen? Dann entdecken wir die kreisrunden Holzpfannen – Mineros/Goldsucher. Die gabs vorher hier nicht. Vor allem nicht mit Aggregaten und Pumpen.  Die Waschpfannen haben wir auch früher schon vereinzelt gesehen. Gold, das verheißungsvolle Gift – immer wieder sickert es in allen Ecken der Welt in die Köpfe der Menschen. Natürlich, wenn wie in Pandemiezeiten, von einem Tag auf den anderen alle Einnahmen wegbrechen, Besserung nicht in Sicht ist, ist es nur logisch, dass auch jede Chance ergriffen wird! Und natürlich lockt der Gedanke an Gold sofort Auswärtige an…. 10 Minuten später wissen wir, dass das, was wir hier sehen, harmlos ist, gegen das, was in den letzten beiden Jahren an einigen Flüssen des Madidi Nationalparks losgetreten wurde. Später in Rurre sehen wir Bilder und sind fassungslos. Da schürfen keine verarmten Habenichtse! Da ist schweres Gerät am Start – Chinesen (mal wieder) und Kolumbianer nutzen die unübersichtliche Situation eiskalt aus. Die Regierung hegt Pacha Mama längst nur noch auf dem Papier. Auch in Bolivien ist Corona eine gute Ausrede, mal nicht so genau hinschauen zu können, zu müssen, zu wollen. Zumal man dabei noch mit reich wird! Vielleicht ein andermal mehr dazu….

Wir haben Glück, ein Dörfler hilft uns sofort beim Wegfinding. Ein Stück flussabwärts beginnt ein Pfad. Vorsorglich haben wir uns eine Schubkarre gleich mitgebracht. Erst geht’s durch ruppigen Sekundärurwald, dann im Zickzack durch Bananenpflanzungen. Weg ist nicht mehr. Dann irgendwann endlich eine Hütte und kurz dahinter stoßen wir wieder auf den Wasserarm, diesmal mit Wasser und einem schmalen Peque-Peque-Boot samt Motor. Jetzt geht’s auf dem Wasser weiter. Durch den Schlamm hieven wir die Schubkarre ins Boot, dann die Kisten und kauern uns auf den Boden. Immer schön Gleichgewicht halten, viel Freibord ist nicht! Souverän werden wir durch enge Kurven manövriert, vorbei an Baumleichen, links und rechts dichte grüne Wände. Kaum merklich geht der Altarm in einer Kurve in den eigentlichen, noch fließenden, schmalen Zufluss über. Dort steigen wir gefühlt im Nirgendwo aus und laufen wieder durch den Busch, um kurze Zeit später auf dem Fußballplatz zu stehen. Ob 50 Minuten Fußmarsch wirklich ausgereicht hätten? Trotzdem kommt bei Hochwasser die Flut bis hierher. 1.5m hoch stand das Wasser allein 2019. Deshalb gibt es hier eine 3meter hohe „Überlebensplattform“ aus massivem Beton mit Schutzdach und immer mehr Hütten sind zweistöckig. Jetzt dient der Bau als Schulgebäude. Gerade ist Pause. 50 Familien leben inzwischen in Torewa Madidi. Die meisten sind in den letzten 4 Jahren wegen interner Konflikte mit den 3 Tonangebern von Torewa Campesino hierher umgesiedelt. Das hat die Gräben zwischen den beiden Comunidades noch mehr vertieft. Immerhin, als größere Gemeinde haben sie es hier geschafft, 4 Lehrerstellen zu besetzen, sogar für die Sekundaria. Und alle vier Lehrer sind auch da und machen Unterricht! Wir nutzen die Gunst der Stunde, klassenweise organisieren wir gleich erstmal die Zahnputzcampagne. Diesmal nehmen wir auch selbst die „Zauberpillen“ und strahlen erstmal genauso blitze-blau wie die Schüler. Zahnärztin Sonja zeigt am Schaugebiss nochmal genau, wie und wo lang. Man merkt, dass ein paar auch sonst ihre Zähne putzen – in den kommenden Wochen sind es hoffentlich wieder mehr! Vor allem die jungen Mädels sind erleichtert, dass das Lächeln im Spiegel im Anschluss doch wieder weiß ist.

Da die Schule noch eine Stunde geht, bauen wir unsere Sprechstunde unter einem Palmendach am anderen Ende des Spielfeldes auf. Erster Halt: Joselo: Patientenakte suchen, oder neue ausstellen, Wiegen – kann bei kleineren Kindern höchst dramatisch sein, Blutdruck messen. Zweiter Halt: Arzt und Medikamente. Dritter Halt: Sonia - grundsätzlich kontrolliert sie alle Kindergebisse. Die Erwachsenen fragen „freiwillig“ nach einer Konsultation. Zum Glück gibt es keine außergewöhnlich schlimmen Diagnosen.

Dafür resigniertes, innerlich wütendes, Kopfschütteln als uns eine 13jährige Schwangere erklärt, warum sie keinen Schwangerenpass(inklusive entsprechender kostenloser Kontroll-Untersuchungen) hat. Sie war sowohl in San Buena ventura (linkes Flussufer, Bundesstaat La Paz, Bezirk Ixiamas) als auch in Rurrenabaque (rechtes Flussufer, Bundesstaat Beni, Bezirk Rurre) im Hospital und wurde abgewiesen. In ihrem Carnet steht als Geburtsort „El Alto“, oberhalb von La Paz (Bundesstaat La Paz, Bezirk La Paz). Das Geld für die kostenlosen Untersuchungen geht vom Staat direkt an den Bezirk und das System akzeptiert nur Bewohner des jeweiligen Bezirkes. Sie hat jetzt also nur 2 Möglichkeiten a) der Arzt im Hospital ist kreativ und nutzt das Carnet einer Verwandten, die vor Ort wohnt oder b) sie meldet den Wohnsitz um (bis dahin wäre das Kind längst auf der Welt). Aber auch bei letzterem müsste sie tricksen. Die Comunidad, wo sie jetzt wohnt, also Torewa Madidi, liegt im Bezirk Apollo. Sie müsste also für den Schwangerenpass dann nach Apollo! Das wäre ungefähr so, als ob man in der Schweiz wohnt und über Bremen nach Prag fährt - mit dem Mofa. Geld bräuchte man dafür auch noch. Besser also, sie sagt, sie lebe in Rurre und gibt die Anschrift von Bekannten aus Rurre an, damit sie in den Genuss der staatlichen Hilfen kommt…..  Je mehr uns Doc Christian in die Tiefen des Gesundheitssystems einweiht, desto verwirrender und hilfloser wird’s. Aber, grundsätzlich sind die kostenlosen staatlichen Gesundheitsprogramme eine wirklich gute Sache!!!! Das sollte man unbedingt anerkennen, auch wenn deren Umsetzung in den indigenen Gebieten einen oft ratlos zurücklässt. Meisten fehlt aber auch schlicht das Geld, um sie umzusetzen. Oder es versickert unterwegs. Wir geben der Familie des Mädels die Adresse eines Gynäkologen in Rurre, der Frauen aus den indigenen Gemeinden kostenlos behandelt. Es ist ihre erste Schwangerschaft und sie ist noch so jung! Christian mahnt inständig, dass sie unbedingt nach der Geburt verhüten soll, wenigstens 3 Jahre.

Nach 5 Stunden sind wir durch, packen unsere Schubkarre und suchen nach einem Begleiter für den Rückweg zum Boot, wo Melwin tapfer ausharrt – hoffentlich! An der letzten Anlegestelle des Hinweges finden wir die Dorfmänner. Gemeinschaftsprojekt Wasserumleitung. Der eigentliche kleine Zufluss hat sich seinen Weg über die Jahre ganz woanders lang gesucht, ist für Boote aber unpassierbar. Der Altarm zum Rio Beni hingegen ist nur nach viel Regen voller Wasser. Weiter oberhalb werden deshalb große Flusskiesel ins Boot geschaufelt und zum Abzweig gestakt. Dort füllen die Männer alte Jutesäcke damit und bauen einen Staudamm, der ein Abfließen des Wassers in den eigentlichen Bach verhindern soll. Kein Grund den Kopf zu schütteln oder gar zu Lachen. Was für eine andere Möglichkeit haben sie denn?!? Keine! … oder abwarten… Woanders wurden auch Flüsse umgeleitet und schweres Gerät gabs noch nicht immer. Nachdenklich klettern wir in eins der Boote. Diesmal schafft uns das Bötchen bis fast zur Sandbank an der Mündung. Die letzten Meter stapfen wir, immer abwechselnd zu zweit die Schubkarre schleppend, durch den Matsch. Morgen ist Torewa Campesino dran. Wir sind gespannt.

8.30 Uhr schlägt die Autofelge. Sie ersetzt die Schulglocke. Geschlagen wird sie von einer blutjungen Lehrerin aus La Paz. Sie ist mit 22 direkt vom Hochland aus der Großstadt hierher versetzt worden. Ein Schock! Eine motivierte Lehrerin kann viel bewirken im Dorf, leider sind ihre 3 Jahre im Dezember vorbei. Wir verstehen aber auch, dass sie nicht bleiben will. Sie packt sofort mit zu, erklärt Rezepte – die meisten der Dorfbewohner können gar nicht lesen und die Kinder noch zu wenig. Der unsinnige Konflikt zwischen den „Alten“ von Torewa Campesino und Torewa Madidi verhindert, dass die Kinder von hier dort die Sekundaria besuchen können. Da kann von außen niemand helfen. Während Melwin und Jacob schon das Camp abbauen und verpacken, behandeln wir eine Familie nach der anderen. Ein schnelles Mittagessen, die restliche Ausrüstung zum Fluss schleppen und schon sitzen wir wieder im Boot in Richtung Asuncion del Quiquibey. Dort wollen wir heute Nachmittag unbedingt noch weiter behandeln, damit der Zeitplan hält. Auch die letzten 2 Jahre hat der Fluss sich stetig Land geholt. Asuncion musste wieder und wieder Hütten umsetzen, die Schule neu bauen. Seit 6 Jahren kämpfen die Bewohner um ihre Gemeinde. Hoffen, dass der Fluss irgendwann wieder ein anderes Bett sucht und Frieden gibt - so wie vor 2014. Für einen neuen Gesundheitsposten fehlte bisher das Geld.  Aber gern stellt man uns 2 Schulräume zur Verfügung. Vom spektakulären Amazonien-Abendrot bekommen wir nichts mit. Es ist bereits dunkel, als die Instrumente und Stifte fallen. Über 80 Patienten an einem Nachmittag, puh! Wir sind so dankbar, dass Melwin, Jacob und Torsten unsere restlichen Sachen in der Gluthitze das fiese Steilufer aus losem Sand bereits hochgeschleppt haben!!!

Auch kochen würde jetzt keiner von uns mehr wollen. Umso glücklicher stürzen wir uns auf das Team-Lieblingsessen“ Aji de Fideo“! Sterne funkeln über uns, Glühwürmchen in den Büschen um uns rum. Mit Phantasie spürt man eine leichte Brise, oder so… Zum Wohl! und danke für diesen wirklich guten Tag!

„Das wird ein heißer Tag!“ hör ich Jacob noch am Morgen sagen…. Die morgendliche „Schulglocken-Felge“ läutet die Zahnputzcampagne ein. Anschließend wuseln an die 50 Kinder mit unseren Sachen zur Böschung und schlittern den Sandhang runter. Ja, runter zu ist ja auch leicht! Danke, Asuncion del Quiquibey – bis nächstes Jahr!  Der Himmel ist inzwischen dunkelgrau und mit Anreißen des Motors fallen die ersten Tropfen, die Schleusen öffnen sich. Sicht - vielleicht noch 30 Meter. Je höher die Geschwindigkeit, desto mehr nass!! Torte und ich sitzen vorne, da hilft auch kein Dach. Immerhin schirmen wir den Rest der Besatzung ab. Außer Melwin, der steht am Bootsende am Motor mit zusammen gekniffenen Augen. Der Regen peitscht ihm ins Gesicht, aber er steuert ungerührt flussabwärts - obwohl man jetzt erst recht nicht mehr sieht, ob Hindernisse unter der Wasseroberfläche lauern. Wir atmen auf, als wir den größeren Beni erreichen! Embocada del Quiquibey, kurz unterhalb der Mündung, wollen wir unbedingt noch schaffen. Aber wie kommen wir rein? Geschätzt 25/30 Minuten sind es zu Fuß. Selbst wenn wir eine Schubkarre hätten, würde die uns nicht helfen. Der Pfad besteht meist aus tiefem Schlamm oder steht gleich ganz unter Wasser. Deshalb haben die Dörfler so ne Art Stegweg gebaut. Unsere Bedenken, dass der nicht hoch genug sein könnte, haben sich schnell erledigt. Allerdings wird die Angelegenheit dadurch nur noch wackeliger. Zudem sind die Bretter schön glatt. Wir eiern uns durch. Wenigstens regnet es während des Balancierens mal nicht. Wegen des Regens sind immerhin alle anwesenden Familien in ihren Hütten und auch das Schulzimmer ist voller neugieriger Knirpse. Sofort wird für uns Platz gemacht, Möbel werden verschoben und die Lehrerin schickt alle los, ihre Eltern und Geschwister zu holen. Es sind nur 7 Familien da, aber am Ende trotzdem 44 Patienten. Die Kinder haben Spaß mit den Luftballons, Dr. Tristan entlockt den schüchternen und oft nur flüsternden Müttern geduldig, was ihnen oder den Kindern fehlt. Sonia hat wieder die nicht so schöne Aufgabe, Zähne zu ziehen – die meisten leider bei Kindern, welche schon die 2. Zähne haben. Wir leiden mit! 2 Erwachsene mit Verdacht auf Leishmaniose, aber sonst eigentlich nichts Bedrohliches. Viele Kinder sind einfach gesund, bis auf die Würmer im Bauch. Doch dann kommt wieder so ein Moment, der das Herz zusammenkrampfen lässt. Jorge ist 35 Jahre alt und Joselo ist völlig verwirrt. Noch beim letzten Besuch war er ein echter Anpacker, witzig, fit. Muskulös ist er immer noch. Die Kinder krabbeln auf seinen Schoss. Aber irgendwas an seiner Erscheinung, die Art wie er seinen Kopf hält, sein Blick – er wirkt völlig debil im ersten Moment. Dr. Tristan kennt die traurige Diagnose – Tumor im Kopf. Der Tumor drückt unter anderem auf den Sehnerv. Auf dem linken Auge sieht er bereits nichts mehr – deshalb der suchende Blick und die merkwürdige Kopfhaltung, die ungelenken Bewegungen. Aber Jorge ist hellwach.  Die Kopfschmerzen werden manchmal unerträglich. Die Padres aus Rurre haben sogar das Geld für die Reise und eine Diagnostik im Hospital in La Paz bezahlt. Leider weiß auch Doc. Tristan nicht, was genau die Diagnose oder Prognose ist. Jorge sagt, er habe im Krankenhaus nichts verstanden. Sicher ist, dass ihm im staatlichen Hospital nicht geholfen werden konnte. Jorge macht weiter, lebt bei seiner Mutter, arbeitet weiter auf dem Feld, geht Fischen – so lange es noch geht…..

In 2 Tagen haben wir an die 300km auf dem Fluss zurückgelegt, sind zig Kilometer durch Schlamm gestiefelt mit kiloweise Gepäck und haben 243 Menschen in 5 Comunidades behandelt, dazu kommen 151 Zahnarztpatienten. Danke Joselo, Sonia, Christian, Jacob und Melwin für euren Einsatz vor Ort! Danke an euch alle am anderen Ende der Welt, dass ihr die medizinische Hilfe am Rio Beni seit 15 JAHREN ermöglicht!

Bilder ansehen....