Und dann stirbst du halt...

Stellt euch vor, Ihr lebt in einer Kleinstadt – vielleicht 10.000 Einwohner. Eure Mutter/Frau hat seit Wochen stetig zunehmende Bauch- bzw. Unterleibsschmerzen. Ihr zögert zum Arzt zu gehen. Klar, das kostet! Allein der Besuch kostet einen Tageslohn, vielleicht, ohne Laboruntersuchungen. Und womöglich muss man ja danach noch Medikamente kaufen. Der erste Arzt, macht immerhin einen Ultraschall und diagnostiziert eine Schwangerschaft. Er hat nicht wirklich eine Ausbildung für sowas. Aber von den Einwänden eines ungebildeten Bauers von wegen regelmäßiger Menstruation u. ä. lässt er sich natürlich nicht beeindrucken. Da es nicht besser wird, der Bauch rasant wächst, die Menstruation regelmäßig bleibt, die Schwangerschaft also immer unwahrscheinlicher wird, entscheidet man sich schließlich schweren Herzens für einen Gynäkologen Besuch. Das Geld ist knapp, aber Gesundheit geht vor. Diesmal lautet die Diagnose erst auf „Scheinschwangerschaft“, dann sieht er etwas fremdes, Großes. Das „Etwas“ muss sofort operativ entfernt und analysiert werden – Einweisung ins Hospital – Sofort!!! Natürlich spukt der Familie sofort im Kopf herum, wie man das alles bezahlen soll…. Im Hospital ist gerade eine Delegation spanischer Ärzte eingetroffen. Alle sind furchtbar beschäftigt. Es gibt Begrüßungen, Besichtigungen und endloses Gerede. Die Zeit vergeht. Der nächste Schock: Für die Operation von Piquis Frau Surma werden 2 Liter Blut benötigt. Darum kümmert sich nicht etwa das Hospital – es gibt keine Blutbank. Die Familienangehörigen müssen das Blut besorgen. Piqui startet einen Aufruf per Lokalsender, schickt Nachrichten an die Familie seiner Frau – der Kostenberg wächst weiter, dazu kommt banges Warten. Immerhin inzwischen erscheint der Chefarzt des Hospitals (Dr. Torro) persönlich, liest den Überweisungszettel samt Diagnose und winkt abfällig ab. OP nicht notwendig. Er schickt Surma tatsächlich nach Hause! Da sie zu schwach ist zum Laufen muss sie auf ihren Mann warten. Als Piqui vom Lokalsender zurück ins Krankenhaus kommt, sitzt sie nach Stunden immer noch auf einer Bank in der Frauenabteilung. Piqui weigert sich, die Abfuhr hinzunehmen und sie haben unendliches Glück. Einer der spanischen Frauenärzte wird auf die beiden aufmerksam, lässt sich die ganzen Zettel zeigen und ist fassungslos. Von einer Minute zur anderen wird Surma zum Notfall. Sie gehört ganz oben auf die OP-Liste des spanischen Ärzteteams. (Leider ist es in Bolivien völlig unüblich jemanden offen zu kritisieren. Weshalb der Hospitalchef für seine eklatante Fehleinschätzung niemals zur Rechenschaft gezogen werden wird!!)
Es fehlen aber immer noch die Blutkonserven. Am Morgen soll operiert werden, aber keiner hat sich gemeldet. Piqui sucht jedes Familienmitglied persönlich auf und bettelt, dass sie sich testen lassen. Lockt sie mit dem Geld für die Spende, von dem er nicht weiß, woher er es nehmen wird. … bezahlt werden muss für jede Analyse! Am Nachmittag endlich die erlösende Nachricht: Es gibt 2 passende Spender – einer davon ist zum Glück Piqui selbst. Jetzt müssen die 2 nur noch wirklich spenden. Wieder verrinnen die Stunden. Surma bittet inzwischen darum, dass man „letzte“ Bilder von ihr und ihren Kindern macht. Sie glaubt nicht mehr daran, dass sie es schafft. Ich mag mir die Verzweiflung gar nicht vorstellen. Bisher scheiterte ihre richtige Behandlung - oder inzwischen Rettung - an Dingen, die bei uns so selbstverständlich sind – Krankenversicherung ist Pflicht (ist man arbeitslos, springt der Staat ein), Fachärzte, Blutbank…. Natürlich hat auch Surma bei all dem immer noch im Hinterkopf, wie sie jemals diese ganzen Rechnungen bezahlen sollen!
Das gespendete Blut reicht aus. Endlich, endlich kann operiert werden. Der Tumor wiegt über 8 Kilo und ist dabei, alle umliegenden Organe allein durch seine Größe zu schädigen. Piqui konnte uns weder eine genaue Diagnose noch irgendwelche Details nennen. Fakt ist, es war verdammt knapp! Wären die spanischen Ärzte nicht just an diesem Tag eingetroffen, wäre Surma nicht mehr am Leben. Hätte Piqui nicht die richtige Blutgruppe gehabt, hätte nicht operiert werden können – es gab nur einen weiteren passenden Spender. Und das aller beste: Das spanische Ärzteteam, als Teil einer NGO, hat Surma gratis operiert. So ist die finanzielle Last wenigstens am Ende nicht ganz so hoch.
Nun stellt euch vor, Ihr habt in dieser Kleinstadt einen Unfall, der eine sofortige Notoperation erfordert……
oder das Ganze passiert nicht in Rurrenabaque, sondern in einem der Dörfer, die wir während unserer Medizintouren besuchen. Ihr sterbt einfach – und das gilt als normal!