Refugio Jaguarete 2018 - Ein Bericht von Ilka Sohr

Morgens um acht im Urwald – eingerahmt von Jahrhunderte alten Urwaldriesen dampfen die Bananenstauden in der Morgensonne. Geweckt hat mich das Getrappel ruheloser Füße kombiniert mit beherzten Sprüngen aufs Wellblechdach direkt über meinem Moskitonetz. Seit dem Hellwerden drückt sich immer wieder ein vorwitziges Fellbündel an den Gazefenstern die Nase platt …. Und wöllte nur zu gerne herein, um mal ordentlich Chaos anzurichten. Jetzt hockt die ganze Affenbande gemütlich in den Assai-Palmen. Während die Kapuziner – wie immer – auf der Suche nach Leckereien sind, genießen es die kleinen Klammeraffen in rasanter Fahrt den glatten Palmenstamm runter zu rutschen. Christa sieht dem allen nur wohlwollend zu. Genau wie ich mit meiner Kaffeetasse in der Hand. Gestern hatte es den ganzen Tag durchgeregnet. Es wurde gar nicht hell. Ruckzuck hatten sich auf der Station große Wassertümpel gebildet – Startzeichen für das nervtötende Konzert der „Formel 1-Frösche“. Ihr Rufen klingt so, als würde Michael Schumacher auf dem Sachsenring an einem vorbei rauschen. Das Ganze natürlich Tag ein Tag aus. Mit Einbruch der Dunkelheit wurden sie aber von Artverwandten übertönt. Es war so laut, dass wir eine Weile direkt schreien mussten um uns zu unterhalten.

Am Morgen sieht man dann an den Spuren, welche nächtlichen Besucher man weder gehört noch gesehen hat.  Hotschis, Taitetu, Nasenbären. Im Februar konnte Piqui sogar seit langer Zeit wieder einen Tapir beobachten – ganz nah an den Gehegen. Ich laufe ein Stück in den Wald hinein. Die Seringeros beginnen gerade ihr Pfeifduell. Loros und Papageien krakeelen in den Baumkronen. Jedes Mal, wenn ich zwischen den riesigen Brettwurzeln der Cachichiras stehe und zu den völlig überwucherten Baumkronen aufblicke, ist das ein einzigartiger Moment. Ich stehe hier zwischen 500 und 600 Jahre alten Bäumen. Die gabs quasi schon im Mittelalter! Faszinierend! Schade, dass es schon wieder mein letzter Tag für dieses Jahr auf Station sein wird!

 

Dann mischen sich weitere Geräusche unter das morgendliche Gelärm – Störgeräusche! Motorenlärm. In den letzten Jahren sind die Felder der Dorfbewohner immer näher gerückt. Mit den Feldern nimmt auch der Druck auf unser Refugio zu, auch wenn die Leute nicht auf ihren Feldern wohnen. Früher nutzten nur wir allein die Zufahrt. Jetzt kommen immer mehr Menschen. Die Wege werden offener und damit auch für Dorffremde interessant. Auf Motorräder folgen Autos um die Ernte abzutransportieren. Mit den Menschen kommt der Müll. Immer wieder sammeln wir am Wegrand Plastiktüten und -flaschen ein. Mit den Menschen kommen die streunenden Hunde. Die kennen keinen Grenzzaun. Zweimal musste Piqui bereits ein Hundetrio gewaltsam vom Stationszentrum vertreiben. Die gehören zwar irgendeinem der Campesinos, müssen sich aber weitgehend selbst versorgen – also jagen… Der Supergau für unsere Neuankömmlinge, die noch nicht so flink auf den Bäumen sind. Im Gegenzug geht natürlich auch unsere Affenbande gern mal auf Expeditionen jenseits der Grenze. Ein Tomatenfeld ist da eine willkommene Abwechslung. Mir wird ganz übel, wenn ich an die Unmengen Pestizide denke, welche nötig sind, um Tomaten zu Regenzeit im Regenwald ernten zu können. Aber Affen lieben verbotene Früchte! Konfliktpotential – da hilft nur viel reden – mit den Bauern, nicht mit den Affen. Und zu guter Letzt hat unsere Wildtierkamera während der Karnevaltage auch noch Schnappschüsse von Jägern auf unserem Gelände gemacht.

 

Es gibt Kriege, die kann man hier nicht gewinnen – den gegen Termiten und Moskitos und den gegen die Zivilisation. Aber es ist nur eine Seite des Terrains, an die die Felder heranrücken.

 

Im restlichen Umland ist es wieder ruhig, nachdem Holzfäller alles wertvolle Holz rausgeholt haben. Langsam kommen wieder mehr wilde Tiere. Als wir Anfang März einen halbstarken Brüllaffen von den Nationalparkrangern übergeben bekamen und gerade auf Station gelandet waren, ertönte exakt im Moment unserer Ankunft das markante Gebrüll einer Brüllaffenfamilie. Das passierte in den letzten beiden Jahren höchst selten. Was für ein Glücksfall. Mit noch etwas mehr Glück kann unser Neuankömmling sich schnell einer vorbeiziehenden Gruppe anschließen! Nach ein paar Tagen in Quarantäne, ist er dann auch fast spurlos verschwunden – aber nicht lautlos. Dank seiner neuen Familie! Das Glück wird Timmi nicht haben. Timmi ist unser erster Klammeraffenmacho – also im Moment noch ein Macho-chen. Klammeraffen gibt es in unserem Landstrich nicht. Aber Christa, unsere Dienstälteste Klammeräffin, adoptierte ihn sofort. Nach ein paar Wochen in denen sie ihn meist auf dem Rücken mit sich rum schleppte, geht er bereits recht vorwitzig auf Entdeckungstour.

 

Wenn wir auf Station Instanthaltungsmaßnahmen planen oder besser gesagt den Termitenkrieg fortsetzen, müssen wir immer an einen Affenabwehrexperten denken. Von Termiten zerfressene Bretter an unseren Häuser austauschen, geht nur mit vielen Leuten. Zur Vorsicht sollte man das betreffende Haus trotzdem leerräumen, bevor man Löcher in die Wände reist. Die Bretter hat Piqui per Hand mit der Motorsäge aus Windbruch-Holz geschnitten. Das geht aber nicht am Faschingsmontag – da tanzt der Teufel im Wald und man darf keines Falls sägen! Auf breiten Schultern werden die schweren Bretter ins Zentrum geschleppt. Die Flickschusterei ist ein ganz schönes Gefriemel. Manchmal wäre es leichter, gleich alle Bretter auszutauschen. Aber so viel brauchbaren Windbruch gibt es nicht und unsere kostbaren Bäume fällen wir nicht!

 

Na und die neue Farbe von unseren Hütten ist sowas von interessant. Obwohl wir extrem aufpassen – ein Schwapp Wasser ist die einzig wirksame Waffe – gibt es jedes Mal grüne Zungen und Batik Fell. Es fehlt einem manchmal halt die dritte und vierte Hand. Das Streichen der Hütten ist Teil der Antitermitenstrategie. Gift streuen oder Chemiebomben fallen auf unserer Tierstation nun mal aus. Am einfachsten ist es, wenn ein paar von uns im Wald arbeiten und die kleinen „Terroristen“ mit sich locken. Allerdings sind wir dieses Jahr wieder mit einer extremen Moskitodichte gesegnet. Da macht Wege frei hauen mit der Machete nur Spaß, so lange man sich bewegt und die Moskitowolke hinter sich herzieht. Blos nicht stehen bleiben! Aber das gebückte Gehen hält man so lange nicht aus und bleibt doch stehen. Insektenschutzmittel läuft mit dem Schweiß sofort davon. Qualmen soll ja helfen…. Am Ende sehen alle Lehrpfade und der Zufahrtsweg aus wie frisch angelegt! Vielen Dank an dieser Stelle an Otto und Rolf, die uns als Volontäre schon zum zweiten mal unterstützt und mit geschwitzt haben!! Auch bei Emma und Frido möchte ich mich für ihre tatkräftige Unterstützung vor Ort bedanken und bei euch allen, die ihr mit euren Spenden den Erhalt der Station überhaupt erst möglich macht.

 

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